Wertekanon für den Ethikunterricht

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Wertekanon für den Ethikunterricht

Seit dem Schuljahr 2021/22 wird der Ethikunterricht in Österreichs Schulen jenen Schülerinnen und Schülern angeboten, die an keinem Religionsunterricht teilnehmen. Über die Rahmenbedingungen wurde und wird viel diskutiert, daher erscheint es umso wichtiger, auch die Inhalte dieses neuen Unterrichtsfachs zu untersuchen. Gerade in unserer Zeit, die zahlreiche Veränderungen, Krisen und Katastrophen mit sich bringt, fällt dem Ethikunterricht eine besondere Verantwortung zu.

Ethische Inhalte vermitteln zu wollen, wirft in einer pluralen Gesellschaft zahlreiche Fragen auf. Bevor in Kauf genommen wird, dass subjektive moralische Ansichten und Einstellungen vermittelt werden, ziehen sich Lehrkräfte erfahrungsgemäß gerne auf eine vermeintliche Toleranz, eine Offenheit allen Meinungen gegenüber zurück. Auch im Ethikunterricht bleiben Schülerinnen und Schüler in einem moralischen Vakuum, einer mitunter überfordernden Unbestimmtheit. Dies geschieht durchaus nicht ganz unbegründet: persönliche Wertehaltungen und Überzeugungen sind etwas Persönliches, Intimes und sollten von Lehrkräften nicht erfragt, und schon gar nicht kommentiert werden. Außerdem scheint ein Konsens in strittigen ethischen Fragen schwer bis unmöglich zu finden, so unterschiedlich sind Hintergründe, Überzeugungen, Zukunftserwartungen, Wünsche und Ziele der Menschen.

Und dennoch stellt sich uns immer die Frage, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen – einer Welt, in der sich die Stärkeren durchsetzen, in der Menschen und Umwelt rücksichtslos ausgebeutet werden? Ein Gegenmodell bietet das Projekt Weltethos, das einen moralischen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ anbietet: eine Selbstverpflichtung der Menschen auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben, auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung, auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit, auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau sowie auf eine Kultur der Nachhaltigkeit und der Sorge für die Erde.

Um höherer Ziele willen – Frieden, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, einer Welt, die auch in Zukunft noch lebenswert bzw. lebenswerter als heute ist – können diese Selbstverpflichtungen im Ethikunterricht gelehrt werden. Das Konzept eines Weltethos bietet Jugendlichen an, selbst einen Beitrag zu einer besseren Welt leisten zu können, ohne dabei in einen bloßen Aktionismus zu verfallen.

(Paul Tarmann)

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