Ethikunterricht

Ethik ohne Religion

Hinführung

KANT wollte in der Philosophie ein ähnlich erfolgreiches Denkmodell entwickeln, wie es KOPERNIKUS, KEPLER und GALILEI für die Naturwissenschaften dadurch gelungen war, dass sie synthetische Urteile a posteriori logisch widerspruchsfrei verknüpften. Synthetische Urteile sind erkenntniserweiternde Urteile, a posteriori meint erfahrungsabhängig. Nun – es ist wohl kaum zu bestreiten, dass wir im Alltag und in den Einzelwissenschaften unsere Erkenntnis auf diese Weise erweitern. Doch so ist nur die Erkenntnis des materiellen Wirklichkeitsbereichs möglich, nicht aber die Frage zu klären, ob es auch einen geistigen Wirklichkeitsbereich gibt und, wenn ja, wie man diesen erkennen könne. Daher ist KANTs aufregende philosophische Grundfrage: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“, also wie kann man Erkenntnis über die Erfahrung des Materiellen hinaus erweitern, ohne in unhaltbare Spekulationen zu verfallen. Die Beantwortung dieser Grundfrage gliederte KANT in drei Teilfragen:

1. Was kann ich wissen?“ Mit dieser Frage setzt sich die „Kritik der reinen Vernunft“ auseinander, also KANTs Erkenntnistheorie.

2. Was soll ich tun?“ Diese Frage ist Thema der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ und der „Kritik der praktischen Vernunft“, also KANTs Moralphilosophie, und

3. Was darf ich hoffen?“ Diese Frage sucht KANTs Religionsphilosophie zu beantworten.

Für unsere Thematik wollen wir uns auf die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und die Kritik der praktischen Vernunft beschränken.

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und Kritik der praktischen Vernunft

Diese beiden Werke spezifizieren KANTs Grundfrage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori in Richtung Moralphilosophie („Was soll ich tun?“). Ging es also in der KdrV um die erfahrungsunabhängige und damit allgemeingültige Begrün­dung von richtiger Erkenntnis, so geht es in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und in der Kritik der praktischen Vernunft um die erfahrungs­unabhängige Fundierung der Möglichkeit eines sittlich-guten Willens. Des guten Willens – nicht des Wollens überhaupt: diese Fragestellung gehört in die Anthropologie, mit der sich KANT ebenfalls beschäftigte. Denn nur dann, wenn eine solche erfahrungsunabhängige Fundierung möglich ist, ist Sittlich­keit der subjektiven Willkür des Einzelnen oder einzelner Gruppen entzogen und allge­meinverbindlich, und zwar auch ohne die neuzeitlich fraglich gewordene religiöse Begründung der Moral – heute stützen sich daher alle Versuche eines Weltethos auf KANT.

„Es ist überall nicht in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Denn alle anderen „Glücksgüter“ (wie Macht, Reichtum, Intelli­genz etc.) können gut oder böse gebraucht werden – der gute Wille ist Alleinursache für ihren guten Gebrauch.

Wir beurteilen die Anlagen eines organisierten, d.h. zweckmäßig zum Leben eingerichte­ten, Wesens danach, ob jedes „Werkzeug“ zu seinem Zweck das angemessenste sei. Im Unterschied zur Tierwelt ist menschliches Verhalten nicht lückenlos aus dem Zusam­menwirken von angeborenem Instinkt und Umwelt erklärbar, der Mensch hat eine „entdifferenzierte Triebstruktur“. Um überlebensfähig zu sein, muss der Mensch einen Ersatz für seine Mängel aufweisen: Er verfügt über einen Verstand, um eine Erkenntnisstruktur, und über einen wahlfreien Willen, um eine Handlungsstruktur aufzubauen, kann dies aber (zumindest in frühen Lebensjahren) nur in menschlicher Gemeinschaft. Wäre der Mensch nur auf irdi­sches Überleben als Art und Individuum hin angelegt, so wäre dieser „Ersatz“ der tieri­schen Triebstruktur (Verstand, Wille, Gemeinschaftsbezug) ein schlechteres „Werkzeug“ als die Reiz-Reaktions-Steuerung der Tiere. Es muss sich also eine Bestimmung des Men­schen finden lassen, die so allgemein ist, dass jeder Mensch sie bejahen können müsste, die aber über das hinausgeht, was ein funktionierendes Reiz-Reaktions-Schema leisten kann.

Eine erste Antwort findet sich in der notwendigen Gemeinschaftsbezogenheit des Men­schen. Während Tier“staaten“ automatisch, weil instinktgesteuert, funktionieren, muss der Mensch jede Form von Gemeinschaft bewusst und frei bilden. Unverzichtbare Vorausset­zung dafür ist, dass zusammenlebende Menschen solche Normen anerkennen, die ein möglichst konfliktfreies Zusammenleben überhaupt erst ermöglichen – Gesetze. Sie müs­sen, eben um Gesetze zu sein, bei aller historischen und kulturellen Verschiedenheit dem einen Ziel dienen, dieses friedliche Zusammenleben von Menschen zu ermöglichen. Die­ses Ziel ist daher der allgemeine Beurteilungsmaßstab („Rechtsgrundsatz„), ob ein kon­kretes Gesetz rechtens ist oder nicht. Zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung des Rechts­zustandes bedarf es des Staates. – d.i. einer Rechtsgesellschaft, die erstens an der Erhaltung / Wiederherstellung des Rechtszustandes interessiert und zweitens mächtiger als die einzelnen Rechtsbrecher ist.

Dieser Rechtsgrundsatz lautet: Alle Glieder einer Gemeinschaft müssen ihre äußere Freiheit so weit einschränken, dass sie mit der äußeren Freiheit der anderen zusammenbestehen kann.

Die erste Antwort auf die Frage, nach welchem Kriterium wir unsere Handlungsstruktur aufbauen sollen, wäre demnach: Wir sollen verall-gemeinerungsfähig im Sinne des Rechtsgrundsatzes handeln und den Staat als Rechtsgesellschaft anerkennen. Die Anerkennung des Rechts darf und soll vom Staat erzwungen werden, weil seine Existenz als Rechtsgesellschaft davon abhängt – man nennt dies Sanktionsfähigkeit des Rechts.

Aber: diese Sankti­onsmöglichkeit ist begrenzt, denn wenn alle Glieder einer Rechtsgesellschaft zum Recht ge­zwungen werden müssten – wer zwingt dann wen? Insofern weist die Rechtsebene über sich hinaus auf die Ebene der Sittlichkeit, die vom Menschen ein allgemeingültiges Handeln, und zwar als Ganzheit von innerer Gesinnung und äußerer Tat, fordert – formulierbar etwa: Handle so, wie jeder Mensch an Deiner Stelle handeln müsste. KANT nennt diese Formel Kategorischer Imperativ (Singular !), weil dieser kategorisch = unbedingt, d.h. ohne Rücksicht auf Vor- und Nachteile, gilt und formuliert ihn so: HANDLE NUR NACH DERJENIGEN MAXIME, DURCH DIE DU ZUGLEICH WOLLEN KANNST, DASS SIE EIN ALLGEMEINES GESETZ WERDE“ – was dem biblischen „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ oder „Alles, was ihr von anderen erwartet, tut auch ihnen“ entspricht. Denn allgemeingültiges Handeln bedeutet ja, sich selbst keine „Privilegien“ herauszu­nehmen, die man anderen nicht zubilligt. Ein Wille, der dieser Forderung nach Allge­meingültigkeit entspricht, ist ein guter Wille.

Der Kategorische Imperativ ist ein synthetisches Urteil a priori: Der sinnlich (d.h. durch Triebe und Neigungen) beeinflussbare Wille bestimmt sich mittels der formalen Freiheit durch das Moralgesetz. Da das Moralgesetz nicht aus dem sinnlichen Willen und der sinnliche Wille nicht aus dem Moralgesetz ableitbar ist, ist die Verknüpfung synthetisch, und da sie an jedem Ort, zu jeder Zeit für alle Menschen gilt, ist sie apriorisch. Durch diese Synthesis wird der sinnliche Wille zum guten Willen.

Das Moralgesetz (Singular !) ist also die Forderung nach allgemeingültigem Handeln und ist insofern formal. Diese Formalität wurde KANT oft vorgeworfen – zu Unrecht, da alle inhaltlichen Moralgesetze (Fachausdruck: materiale Wertethik) erstens das Gewissen überspringen und damit den Menschen entmündigen würden, zweitens aber aufgrund ihrer Inhaltlichkeit situations- und kulturabhängig und damit eben nicht allgemeingültig wären.

Der Kategorische Imperativ kann durch drei Sonderformulierungen verdeutlicht wer­den, die aber inhaltlich nichts Neues hinzufügen, sondern den vorhandenen Inhalt nur ausfal­te.

Die Allgemeingültigkeit des im Kategorischen Imperativ formulierten Moralgesetzes schließt Sozialität in doppelter Weise ein:

  • Erstens dadurch, dass es sich ausnahmslos an alle Menschen richtet und eben keine Ausnahme, kein Privileg, gestattet.
  • Zweitens – und dies ist eine Folge des ersten Moments – schließt es die Forderung ein, jeden Menschen als zumindest möglichen Adressaten der Sittlichkeit nie bloß als Mittel für eigene Zwecke zu gebrauchen, sondern ihn immer auch als Selbstzweck, als Person zu achten. Dies schließt jede Art von Ausbeutung des Mitmenschen radikal aus.

Da das Moralgesetz in der menschlichen Vernunft und nicht in einer bestimmten Religion begründet ist, ist es für alle Menschen verbindlich. Keine Religion oder andere Weltanschauung darf daher der allgemeingültigen Moral widersprechen – sie darf mehr, aber nicht weniger vom Menschen fordern. Daher ist ein Weltfriede ohne Weltethos unmöglich! Und daher müsste ein so verstandener Ethikunterricht Herzstück jedes Curriculums sein.

Sr Katharina OP (Mag. theol. Dr. phil. Elisabeth Deifel

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Ethikunterricht :

Der Einführung der ersten Schulversuche „Ethikunterricht“ im Jahre 1997/98 gingen sehr kontroverse Diskussionen und Befürchtungen voraus. Mittlerweile hat sich der Schulversuch bewährt, daher ist die Zeit mehr als reif, um den Ethikunterricht als verpflichtende Alternative zum Fach „Religion“ vom Gesetzgeber einzufordern. Oder können wir verantworten, dass immer mehr Jugendliche ohne jede sittliche oder religiöse Wertordnung aufwachsen? Der Zielparagraph des § 2 SchOG macht die Mitwirkung „an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen“ zu einer Aufgabe der Schule. Um dem Bildungsauftrag gerecht werden zu können bzw. gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen, müssen alle Schüler/Innen, die nicht an einem konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen bzw. für die kein Religionsunterricht angeboten wird, die Möglichkeit haben, an einem Ethikunterricht teilzunehmen.