Die Pandemie – Kennt sie keine Ethik?

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Die Pandemie – Kennt sie keine Ethik?

Jede(r) ist sich selbst die (der) Nächste. Alle machen die Grenzen dicht. Das Boot ist voll, und was bei „den anderen“ passiert, darf bei uns nicht passieren. Deshalb halten wir die anderen so fern wie nur möglich.
 
Was da passiert, ist als spontane Schreckreaktion verständlich. Aber es hat nichts mit Ethik zu tun; und auch nicht mit einem von Vernunft gespeicherten Eigeninteresse. In Österreich sind viele tausend Menschen auf die Alltagsbetreuung durch slowakische und rumänische Pflegerinnen angewiesen. Die Ernte im Burgenland, in Niederösterreich und der Steiermark braucht den Arbeitseinsatz ungarischer, tschechischer, slowenischer Arbeitskräfte. Das sich einigende Europa, das ja auch ein Europa der Solidarität sein will, scheint es nicht mehr zu geben: Der Schengen-Vertrag ist ausgesetzt, der Binnenmarkt funktioniert nicht. Jede(r) hortet Schutzmasken – nur für sich, jede(r) bestellt Beatmungsgeräte im Alleingang.
 
Über Hilfe für die Flüchtlinge auf Lesbos wird nicht mehr diskutiert, und Österreich verhindert – gemeinsam mit den Niederlanden, Deutschland und anderen „reichen“ EU-Mitgliedsstaaten – die Ausgabe von Eurobonds, die den von der Pandemie besonders betroffenen Ländern des europäischen Südens helfen können.
 
Und schon dient die Pandemie als Vorwand, um die Qualität der Demokratie zu reduzieren – wie in Ungarn. Und schon gibt es nationale Sündenböcke – der Präsident der USA spricht von einem „chinesischen“ Virus, und in Kalifornien werden Menschen asiatischer Herkunft angepöbelt. In Zeiten der Pandemie vertiefen sich die Gräben zwischen „uns“ und „den anderen“.
 
Das Virus kennt keine Grenzen. Und auch wenn es verständlich ist, dass jetzt Europa China imitiert und die Lombardei ähnlich isoliert wird wie es für die Region Wuhan der Fall war: Beispiele anderer Pandemien (etwa die „Spanische Grippe“ zwischen 1917 und 1920) zeigen, dass eine regionale Begrenzung auf Dauer keine Lösung ist.
 
Voraussetzung für eine globale Lösung ist aber, dass man nicht in Grenzen denkt, sondern vom Grundsatz einer globalen Solidarität ausgeht. Diesen Grundsatz in konkrete Schritte umzusetzen, das ist alles andere als einfach. Aber die Umsetzung beginnt, wenn man nicht Landeck gegen Linz ausspielt; und die Menschen auf den griechischen Inseln nicht vergisst, die im Niemandsland zwischen der Türkei und der EU um ihr nacktes Überleben kämpfen.

(Anton Pelinka)

Wir sind alle voneinander abhängig.
Jede (jeder) hängt vom Wohlergehen des Ganzen ab.

(Erklärung zum Weltethos)

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