WEGWEISER FÜR EINE ORIENTIERUNGSLOSE WELT

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WEGWEISER FÜR EINE ORIENTIERUNGSLOSE WELT

Vor 30 Jahren stellte das Parlament der Weltreligionen in seiner Chicagoer Erklärung zum Weltethos angesichts erschütternder Kriege und zahlloser Menschenrechtsverletzungen fest, dass allein ein umfassender Konsens über gemeinsame religiöse bzw. ethische Werte ein friedliches Miteinander der Menschen und Völker garantieren könne. Ausgehend von Hans Küngs Kernthese, dass Frieden zwischen den Nationen nicht möglich sei ohne Frieden zwischen den Reli­gionen, wollten die Religionsvertreter ein verbind­liches ethisches Fundament schaffen, das den Menschen unterschiedlichster Religionen und Kulturen eine Richtschnur für ihr individuelles Handeln bieten könnte.
Heute, 30 Jahre später, in einer Welt mit neuen kriegerischen Konflikten und barbarischen Terrorakten, ist die ur­sprüng­liche Aussage, dass „die „Welt in Agonie“ liege, ebenso zutreffend wie damals und sind gemeinsame ethische Grundlagen eines friedlichen Miteinan­ders nicht minder drängend. Die Fortschritte, die man sich von der Erklärung zum Weltethos 1993 er­wartet hatte, scheinen heute allerdings mehr und mehr in Frage gestellt: die Globalisie­rung hat die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen globalem Süden und dem Norden, weiter auseinandergehen lassen und damit zahl­reiche neue Konflikte heraufbe­schworen. Religiöser Fanatismus und von der Politik instrumen­ta­lisierte Religionen er­weisen sich für Viele als vermeint­lich legitime Orientie­rungs­­punkte in einer zunehmend orientie­rungs­losen Gesellschaft.
Auch wenn die Vorstellung eines auf gemeinsamen ethischen Prin­zipen basierenden Weltfriedens vorerst eine Vision bleiben dürfte, so ist sie dennoch nicht überholt. Im Gegenteil: Die Erklä­rung zum Weltethos und Küngs „Projekt Weltethos“ sind wichtiger denn je zuvor. Sie sind Mahnung für jeden Einzelnen, der eigenen Verpflichtung auf die in allen Religionen und Wertegemeinschaften formulierte „Goldene Regel“ nachzukommen und damit den Geltungsanspruch der Erklärung zum Weltethos auf globaler Ebene immer wieder neu zu bekräftigen.
Entscheidend für die Zukunft des Projekts Weltethos wird sein, ob es uns gelingt, auch heute  jene Akzente zu setzen, die angesichts der aktuellen Herausforderungen unsere Zielsetzungen als glaubwürdige Alternativen zum Aus­einander­brechen des gesell­schaft­lichen Zu­sammen­halts, zum Werteverfall und zu den schrecklichen Ereignissen unserer Zeit erscheinen zu lassen. Wenn das Projekt als zukunftsweisend wahrgenommen werden soll, müssen wir aus der Per­spek­­tive des Weltethos unsere Stimme erheben und der Menschheit und vor allem der Jugend von heute eine „welt-ethische“ Orientierung anbieten.
(Bernd Engler)

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