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Tiere – Wesen fast wie wir

Über lange Zeit „emanzipierte“  sich das abendländische Geisteswesen Mensch vom eigenen Naturwesen. Damit entstanden getrennte Mensch- und Tierethiken. Mit dem Sesshaftwerden vor etwa 10 000 Jahren begaben sich domestizierte Tiere, wie Schaf und Rind in die Abhängigkeit von den Menschen. Das widerspiegeln die Schriften des Alten Testaments: Nutztiere erfahren paternalistische Fürsorge, den bedrohlichen Wildtieren begegnet man mit Furcht und Abwehr. Im Neuen Testament spielen Tiere gleich gar keine besondere Rolle mehr. Zwar steht nirgends geschrieben, dass Tiere keine Seele hätten, das Gegenteil aber auch nicht. Geschrieben steht aber, dass der Mensch – nicht aber die „anderen“ Tiere – als Gottes Ebenbild geschaffen wurden. So hatte man mit den Tieren fürderhin Nutzbeziehungen, was darüber hinausging, wurde zum heidnischen Relikt, zum Ärgernis. Das prägte denn auch die Tierbeziehung in den Buchreligionen; seltene Ausnahmen, wie Franz von Assisi, bestätigen die Regel.
 
Mit René Descartes und der Aufklärung erreichte diese selbstarrogierte Überhöhung ihren Höhepunkt: Tiere seien Reiz-Reaktionsmaschinen, im Gegensatz zu Menschen ohne Bewusstsein, unfähig zu fühlen, zu leiden. Diese nach heutigem Wissen objektiv falsche Sichtweise führte in eine anhaltende Beziehungskatastrophe mit den „anderen“ Tieren: Es wird in industrieller Tierhaltung  unter grober Missachtung des Tierwohls, „Fleisch produziert“ – um billigst in Supermärkten verschleudert zu werden. Immer noch beseitigen vor allem in Österreich Gift und Flinte alles, was die Land- und Jagdwirtschaft stört, einschließlich Wolf, Bär und Luchs – und das in der rasantesten Biodiversitätskrise, welche dieser Erde je widerfuhr.
 
Vor allem die neueren Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung lassen diesen unmenschlichen Umgang mit den „anderen“ Tieren fragwürdig erscheinen. Heute wissen wir, dass es zwar wichtige, aber nur wenige, vor allem graduelle Unterschiede zwischen Menschen und „anderen“ Tieren gibt. Mit Rindern, Schweinen, Hühnern und Gänsen teilen wir ein fast identisches soziales Gehirn, das im Prinzip ähnlich fühlt, denkt und Bewusstsein vermittelt, wie unser eigenes. Die „anderen“ Tiere sind klar unsere Wesensverwandten. Wenn man schon nicht bereit ist, sie schlicht als Mitgeschöpfe zu achten – sollte man aus diesen Erkenntnissen nicht folgern, dass humanistische Prinzipien nicht nur für den Umgang mit Menschen gelten? Und wird damit nicht etwa das Essen „anderer“ Tiere zu einer Art von Kannibalismus?  
 
Menschen und die „anderen“ Tiere stehen in vielfältiger, komplexer Beziehung – seit es Menschen gibt. Langsam dämmert uns heute wieder die lange verdrängte Wesens- und Seelenverwandtschaft. Es bleibe dahingestellt, ob dies zu einem menschlicheren Umgang mit den „anderen“ Tieren führen wird. Denn Menschen gingen zwar vernunftbegabt aus der Evolution hervor, deswegen aber noch lange nicht als jene rationalen Geisteswesen, die sie gerne wären.

(Kurt Kotrschal)

 

Die Größe einer Nation erkennt man daran,

wie sie ihre Tiere behandelt.

(Mahatma Gandhi)

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