(Newsletter 2013-01)
Alle reden über Politik- und Politikerverdrossenheit. Das Ansehen der PolitikerInnen an der Spitze Österreichs sowie der meisten europäischen Demokratien ist schlecht. Bestenfalls ist der Grund nur Entscheidungsunfähigkeit, schlimmstenfalls persönliche Korruption, die man „denen da oben“ vorwirft. Überall in Europa geht die Wahlbeteiligung zurück. Das ist ein böses Signal für die Demokratie.
Und doch! Seymour Marin Lipset berichtet in seinem Buch „Political Man“, dass im November 1932 in den beiden damals größten Demokratien der Welt Wahlen durchgeführt wurden. In den USA wurde Franklin D-Roosevelt Präsident – bei einer Wahlbeteiligung von etwa 60 Prozent. In Deutschland wurde die NSDAP stärkste Partei, und die Wahlbeteiligung lag bei etwa 80 Prozent….… Eine alte chinesische Weisheit sagt: Gott möge uns hüten vor einer solchen Politikbegeisterung.
Das soll natürlich nicht heißten, dass eine geringe Wahlbeteiligung eine gute Voraussetzung für die Demokratie ist, sondern nur, dass eine hohe Wahlbeteiligung allein noch kein positives demokratisches Zeugnis ist.
In Polen mobilisierte Solidarnosc in den 1980er Jahren Millionen Menschen gegen die kommunistische Diktatur. Kaum aber hatte Solidarnosc gesiegt und gab es freie Wahlen, begann die Wahlbeteiligung rasant zurückzugehen. Es war eben nach 1990 demokratische Normalität eingekehrt. Und die ist für viele langweilig, ärgerlich, ja geradezu abstoßend. Demokratie ist jedoch keine Heilslehre und nichts Perfektes.
In Ländern wie Österreich ist die messbare und auch überall spürbare Politikverdrossenheit eine Herausforderung für die Politik – für die Parteien, aber ebenso auch für die Zivilgesellschaft, für die Medien, für die Schulen und Universitäten. Es geht um die Analyse der Ursachen der Politikverdrossenheit; und darum, wie man Wählerinnen und Wähler für Politik interessieren, ja vielleicht sogar begeistern kann. Aber es wäre kontraproduktiv, dabei von einem Idealzustand auszugehen, der Demokratie heißt. Immerhin ist die Demokratie auch deshalb die – relativ beste – aller bekannten politischen Ordnungen, weil sie einräumt, nicht perfekt zu sein.
Demokratie heißt auch, dass wir die Politikerinnen und Politiker haben, die wir verdienen. Und wenn uns die nicht passen – wofür es immer sehr viele gute Gründe gibt -, dann liegt es an uns, daran etwas zu ändern. Sich einzubringen, aktiv mitzuwirken – das entspricht der Ethik der Demokratie. Wer das nicht tut, gibt sich mit den Zuständen zufrieden, wie sie sind. Dann fällt allerdings auch der – entscheidende – Grund für Politikverdrossenheit weg. (Anton Pelinka)
Da es in der Politik nie nur um Macht und Systeme an sich geht, sondern um Menschen, kann die Politik nie einfach den Politikern und den Politologen überlassen werden
(Hans Küng)