Eine direkte religiöse Begründung militärischer Gewalt ist aus christlicher Sicht nicht vertretbar. Grundlegende Perspektive aller Überlegungen zur moralischen Legitimität militärischen Handelns ist der Erhalt oder die Wiederherstellung des Friedens: Zwischenmenschliche Gewalt erscheint schon im Alten Testament als zentraler Aspekt der menschlichen Ursünde: Schon der Sohn des ersten Menschen erschlägt seinen Bruder und setzt damit eine Kette unheilvoller Gewalt und Gegengewalt in Gang, die schließlich in der Katastrophe der Sintflut endet. Ganz entscheidende Bedeutung für friedliches Zusammenleben kommt aus biblischer Sicht der rechtlichen Ordnung zu, dem Gesetz. Jesus zeigt freilich einen Weg auf, der über das Gesetz hinausführt, indem er seinen inneren Sinn auf den Punkt bringt, der in der Liebe zu Gott und den Menschen besteht, auch und gerade zu den Feinden (Mt 5,44). Wem Unrecht getan wird, der soll es verzeihen (Mt 18,21) und sich mit seinem Gegner noch auf dem Weg zum Gericht versöhnen (Mt 5,25). Die Sanftmütigen, die Barmherzigen und die Friedensstifter nennt Jesus selig (Mt 5,5.7.9).
Die biblischen Schriften und die moraltheologische Tradition begnügen sich allerdings nicht damit, auf diesen Primat des Friedens hinzuweisen und die Menschen zu persönlicher Friedfertigkeit, zu Verzeihen und Versöhnung zu mahnen. Sie versuchen vielmehr, von der faktischen Gewalt in konkreten sozialen und politischen Situationen ausgehend, realistische Maßnahmen zu ihrer Eindämmung und Überwindung aufzuzeigen. Im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols und der rechtlichen Ordnung sollen und dürfen auch gewaltförmige Mittel zur Eindämmung und Vermeidung von Gewaltdelikten eingesetzt werden. In Bezug auf zwischenstaatliche Gewalt hält das Zweite Vatikanische Konzil fest: „Solange die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen.“ (Gaudium et spes 79) Im Einsatz für den Frieden im Auftrag der Völkergemeinschaft und für den Schutz der Mitbürger vor bewaffneten Angriffen ist der Dienst als Soldatin und Soldat auch für Christen erlaubt.
In den katholischen kirchlichen Stellungnahmen zum Ukrainekrieg wird der Angriff durch die Russische Föderation verurteilt, zum sofortigen Ende der Kampfhandlungen, zu verstärkten diplomatischen Bemühungen und zum Gebet für den Frieden aufgerufen. Angesichts der katastrophalen Folgen für die Bevölkerung ergeht die Bitte, sich an der Bereitstellung humanitärer Hilfe zu beteiligen und großzügig Flüchtlinge aufzunehmen.
(Werner Freistetter, Militärbischof)