Politik ist ein überaus komplexes Feld der Gesellschaft. Was richtig und was falsch ist, das lässt sich zumeist nur als Ziel-Mittel-Optimierung aussagen: Ist es beispielsweise richtig, die Einkommenssteuer zu senken, um das Wirtschaftswachstum zu steigern? Das allerdings kann erst anhand des eingetretenen oder eben nicht eingetretenen ökonomischen Effekts. beurteilt werden
Nur selten wird es im politischen Alltag um „richtige“ oder „falsche“ Entscheidungen im ethischen Sinn gehen. Bei großen, die Welt massiv beeinflussenden Fragen, lässt sich – manchmal – eine eindeutige Aussage machen, zumindest im Nachhinein: Die Entscheidung der Führung des „Großdeutschen Reiches“, am 1.September 1939 über Polen herzufallen, war ethisch falsch; die darauf folgenden Kriegserklärungen des Vereinigten Königreiches und der Französischen Republik waren hingegen ethisch richtig.
In einer Demokratie ist die Frage nach der ethischen Richtigkeit besonders schwer zu beantworten. Denn das zentrale Qualitätsmerkmal eines demokratischen Systems ist, dass die Politik die Interessen und damit den Willen der Gesellschaft auszudrücken hat: den Willen der Mehrheit in der Gesellschaft, unter Wahrung der garantierten Rechte jeder Minderheit.
Das begründet einen der Demokratie immanenten Opportunismus: Um gewählt zu werden, laufen Politikerinnen und Politiker dem nach, was sie für die Meinung der für ihren Wahlerfolg entscheidenden Teile der Wählerschaft halten. Mit anderen Worten: Die ethische Qualität politischen Verhaltens in der Demokratie wird grundsätzlich nicht von einzelnen Personen bestimmt, sondern von der Bereitschaft der Gesellschaft, ethisches Verhalten einzufordern und nicht ethisches Verhalten zu sanktionieren.
Sind damit Politikerinnen und Politiker exkulpiert, weil sie sich ja immer auf das „Volk“, also auf die Wählerinnen und Wähler berufen können? Karel Schwarzenberg definierte einmal, was die ethische Qualität einer Person sein soll, die zentrale politische Entscheidungen zu treffen hat: Von einem solchen Mann, einer solchen Frau muss erwartet werden, im richtigen Moment „Nein“ zu sagen; auch um den Preis, dass mit dieser Entscheidung die eigene politische Karriere zu Ende sein kann.
John F.Kennedy hat in seinem Buch „Profiles in Courage“ das Loblied der Männer in der US-Geschichte gesungen, die – gegen den herrschenden „Zeitgeist“ – Entscheidungen getroffen haben, die für sie persönlich politisch nicht opportun waren. Als Präsident war Kennedy selbst für Entscheidungen verantwortlich, deren ethische „Richtigkeit“ fragwürdig war: Im Oktober 1962 ging er bis an den Rand des Nuklearkrieges, um die UdSSR zum Abzug der sowjetischen Atomraketen aus Kuba zu veranlassen. Während seiner Präsidentschaft jedoch war Kennedy verantwortlich für das sich schrittweise steigernde militärische Engagement der USA in Vietnam.
Die erste dieser Entscheidungen ging „gut“ aus – der Atomkrieg um Kuba wurde vermieden. Die zweite endete in der Katastrophe eines Krieges, den die USA nicht gewinnen konnten. War in den Momenten, in denen Kennedy seine Entscheidungen traf, schon klar, was ethisch „richtig“ sein würde? (Anton Pelinka)