Sie bilden den Wurzelboden der Weltreligionen, wie Hans Küng meint. Am Beispiel der Aborigines in Australien und der Schwarzafrikaner südlich der Sahara kann man erkennen, dass diese sogenannten Naturvölker, die nicht als Gegensatz zu den Kulturvölkern gesehen werden dürfen, zwar keine heiligen Schriften besitzen, in denen ihre Religion, ihre Mythen und Riten sowie ihr Ethos festgeschrieben sind, dass sie aber an ein von den Ahnengeistern gegebenes Gesetz glauben, das von Generation zu Generation durch Riten, Mythen, Tänze und Gesänge weitergegeben wird. Dieses Gesetz sagt ihnen, was ihr Platz im Leben ist, was gut und was schlecht ist.
Was Küng an ungeschriebenen Normen bei diesen Stammesvölkern gefunden hat, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
- Gegenseitigkeit, Sinn für Gemeinschaft und Solidarität
- Gerechtigkeit
- Großzügigkeit
- Ehrfurcht vor dem Leben
- Hochschätzung traditioneller Werte und Maßstäbe
- Regeln für das Zusammenleben der Geschlechter und Generationen
- Ganzheitliche Sicht von Welt und Mensch
Diese ungeschriebenen ethischen Normen bilden somit den „Felsen“, auf dem die menschliche Gesellschaft aufgebaut ist. Man könnte dies, so Küng, ein „Ur-Ethos“ nennen, das den Kern eines gemeinsamen Menschheitsethos bildet.