Es waren die Dritte-Welt-Länder, die Ende des vorigen Jahrhunderts spirituelle Gesundheit in die Gesundheitsdefinition der World Health Organization (nämlich nicht nur frei zu sein von Krankheit und Behinderung sondern vollständiges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden) hinein reklamiert haben.
Üblicherweise wird in der demonstrativ säkularen westlichen Welt der spirituellen Gesundheit nur für den Sterbeprozess Raum gegeben. Damit wird aber nicht nur das Recht auf spirituelle Selbstbestimmung im ganzen Leben missachtet, wie es sich im Menschenrecht der Religionsfreiheit verkörpert, sondern auch die in vielen Studien nachgewiesene Gesundheitsstärkung durch praktizierte Spiritualität (nachzulesen bei Anton A. Bucher, Psychologie der Spiritualität, Beltz Verlag 2007).
Ich sehe es als einen Mangel an Ethik von Achtsamkeit und Respekt, die spirituelle Selbstbestimmung von Menschen einzuschränken: damit wird der Kern ihrer Identität – bei Christen etwa, ihre Gottebenbildlichkeit zu verwirklichen – verletzt. Egal, welche „Lebensstil-Vorschriften“ in Religionen und Bekenntnissen verkörpert werden (sollen) – allfällige Abgrenzungen für ein gutnachbarliches Zusammenleben vorzunehmen braucht einen dialogischen Prozess, kein (gesetzliches) Oktroy, und die wohlwollende Suche nach friedlicher, Gesundheit fördernder VerEINbarung.
Viele Menschen werden schon von klein auf traumatisiert und an ihrer Entfaltung als förderndes Mitglied einer diversitätsfreundlichen Gesellschaft behindert, indem man ihnen immer wieder vermittelt „So wie du bist, bist du nicht akzeptabel“. Damit wird man am anderen schuldig, denn darin verbirgt sich ein subtiler sozialer Mordversuch.
Es gibt für jedes Dilemma mehr als die nur zwei Lösungsmöglichkeiten von Verbieten oder Laissez-faire. In Verkörperung von Gottes Schöpfermacht liegt es an unser aller Kreativität, gemeinsam einander fördernde Problemlösungen zu schaffen – in der Sprache und in der Zeit, die dazu nötig ist. (Rotraud A. Perner)