(Newsletter 2009-1)
Frage: Sie hatten schon 1997 vor einer Rückkehr der Weltwirtschaftskrise, vor einem „Chaos“ und einem Zusammenbruch der ökonomischen Ordnung wie in den Jahren 1929-1933 gewarnt. Hat Sie die Rasanz und Dimension der Ereignisse in den vergangenen Monaten dennoch überrascht?
Antwort: Nur zum Teil! 1996 hatte eine Bemerkung des damaligen Chefs der US-Notenbank, Alan Greenspan, über einen »irrationalen Überschwang« in den Aktienmärkten die Börsen Asiens, Europas und Amerikas erschüttert. Eine Bestätigung für meine Vermutung, die Chaos-Theorie finde bisweilen auch in der Ökonomie Anwendung. Und ein weiteres Anzeichen dafür, dass der Markt nicht rational funktioniert, dass Krisen in der Globalisierung sich nicht von vornherein auspendeln, sondern sich auch aufschaukeln können. Nur wenige Ökonomen wie der diesjährige Nobelpreisträger Paul Krugman haben immer wieder vor fatalen Entwicklungen gewarnt.
Frage: In ihrem Buch »Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft« von 1997 schreiben Sie, dass sich Krisen in einer globalisierten Welt „nicht a priori“ lösen würden, sondern sogar immer schlimmer werden könnten. […] Kommt es nach der Welt-Finanzkrise tatsächlich zu einer tiefen Weltwirtschaftskrise oder können die milliardenschweren Konjunkturpakete in verschiedenen Ländern diesen Trend noch stoppen?
Antwort: Wir stecken faktisch schon in einer Weltwirtschaftskrise. Gegen viele Voraussagen von Wirtschaftsexperten ließ sich die Krise nicht auf die Finanzwirtschaft beschränken, sondern hat rasant auf die Realwirtschaft übergegriffen; Automobil- und Chemieindustrie sind nur zwei Beispiele für die Rezession. Doch im Gegensatz zu 1929 drosselt man jetzt nicht die Kredite, sondern pumpt öffentliche Gelder in Banken und Wirtschaft. Diese Maßnahmen aber werden nur dann Erfolg haben, wenn sie nicht punktuell und populistisch erfolgen, sondern sich in ein überzeugendes Gesamtkonzept einfügen, das verantwortbare Staatsinterventionen mit finanziellen Entlastungen der Bürger und Einsparungen in den öffentlichen Haushalten verbindet. Unabsehbare Staatsverschuldung kann keinesfalls die Lösung sein.
Frage: Es gibt auch Hoffnungszeichen: Stehen wir in den industrialisierten Staaten nach einer Ära der teilweise zynischen Gewinnmaximierung und des kurzsichtigen profitorientierten Handelns am Anfang einer neuen Bescheidenheit und Nachhaltigkeit? Wird ethisches Handeln auch in der Wirtschaft wieder mehr gefragt sein und unethisches Handeln sanktioniert werden?
Antwort: Durchaus. Davon hat mich gerade eine Vortragsreise quer durch die USA überzeugt. Überall beklagt man jetzt die Gier nach Profit in der Wirtschaft und den Größenwahn auch in der Politik. Ein Versagen der Märkte, der Institutionen, aber auch der Moral ruft nach ethischen Regeln für das grundsätzlich berechtigte Gewinnstreben. Ethik aber ist nicht nur das Sahnehäubchen auf dem Kuchen, ist nicht nur eine nebensächliche Zugabe zur globalen Marktwirtschaft. Nein, gerade eine neue Finanzarchitektur muss gestützt werden von einer ethischen Rahmenordnung. Nur mit einigen elementaren ethischen Normen kann man die fatale menschliche Gier zähmen.
Frage: Barack Obama geht mit einem – für einen Politiker – ethisch und moralisch ungewöhnlich hohen Anspruch in die Präsidentschaft. Kann er tatsächlich eine Zeitenwende mitbewirken?
Antwort: Obama ist kein Messias! Und angesichts der erdrückenden Fülle innen- wie außenpolitischer Probleme, mit denen er wie kein US-Präsident zuvor konfrontiert ist, wird er keinesfalls alle Erwartungen erfüllen können. Über seine bisherigen wirtschaftspolitischen Vorschläge maße ich mir kein Urteil an. Sicher ist jedoch, dass er die ethische Dimension der gegenwärtigen Wirtschaftskrise erkannt hat: »Es läuft auf die Werte hinaus: Messen wir nur dem Reichtum einen Wert zu oder der Arbeit, die ihn schafft?« Der Leidensdruck erzeugt Reformdruck, der mit Obama zur politischen Kraft werden kann.
Frage: Was bedeutet es für Ihre Vision eines Weltethos, dass ein Farbiger der Präsident des mächtigsten Landes der Erde wird?
Antwort: Er steht jedenfalls für die Annäherung und Versöhnung der Rassen und Parteiungen in den USA und für eine neue Friedenspolitik unter den Nationen – ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger. Die Weltethos-Idee stützt ein solches neues Paradigma internationaler Beziehungen: statt der militärischen Konfrontation, Aggression und Revanche wie unter Bush eine wechselseitige Verständigung, Kooperation und Integration, wie von Obama angekündigt.
(Interview für ddp (Norbert Demuth))
10.12.2008 © Hans Küng